Wer wird denn schon verzweifeln

Die Familie zu Knyphausen hat in ihrer knapp 800-jährigen Geschichte schon so manchen Politiker, General oder Diplomaten gesehen. Ein berühmter Musiker war noch nicht darunter. Der jüngste Spross der Adelsfamilie, Gisbert zu Knyphausen, schickt sich jetzt an, dass zu ändern und veröffentlicht mit seinem Zweitwerk ein tolles Pop-Album, dass das Leben in seinen melancholischsten Momenten besingt.

Vor zwei Jahren veröffentlichte er sein selbstbetiteltes Debut-Album, das nicht nur in den einschlägigen Musikgazetten abgefeiert wurde, sondern dem 30-jährigen auch in den Feuilletons der überregionalen Presse Lob bescherte. Seine sparsam arrangierte Songs bewegen sich irgendwo zwischen dem Indiepop von Kettcar und den melancholischen Chansons von Element of Crime. Und mit seinen direkten, teils autobiografischen Texten, traf der Wahlhamburger anscheinend den Nerv der Zeit. Die Platte verkaufte sich verhältnismäßig gut – das selbstbetitelte Debutalbum erschien bei einem kleinen Label ohne großen Werbeetat.

Die Kritiken sowohl in der einschlägigen Mussikpresse als auch in den Feuilletons der Tages- und Wochenpresse waren durchweg positiv bis übrschwenglich. So stellte etwa die „Welt“ begeistert fest, dass mit Gisbert zu Knyphausen deutscher Pop endlich wieder lyrisch werde. Auch die knapp 100 Konzerte, die zu Knyphausen seitdem mal solo, mal mit Band spielte, waren fast immer ausverkauft. Das allein ist schon erstaunlich. Doch noch viel erstaunlicher ist, das sich zu Knyphausens Anhängerschaft nicht nur aus der Indiepopgemeinde der Twentysomethings rekrutiert, sondern das seine Musik Menschen aller Altersklassen anspricht. So wird das zu Knyphausen-Konzert zum Familienerlebnis. Die jüngeren Fans sehen in ihm einen deutschen Conor Oberst, die älteren Hörer den jungen Reinhard May.

Aus Musikern ist eine Band geworden

Verständlich, dass der junge Musiker einen beträchtlichen Erwartungsdruck bei der Arbeit an dem neuen Album spürte. Von dem ist jedoch auf „Hurra! Hurra! So nicht!“, sein am 23. April erscheinenedes neue Album, glücklicherweise nichts zu hören. Ebensowenig begang er den Fehler mit dem Zweitwerk nur einen müden Abklatsch des Erstlings abzuliefern – wie so viele andere Musiker, die nach einem erfolgreichen Debut nur noch Kopien desselben veröffentlichten.

Dafür sorgen schon die Musiker, die ihn seit seinem Debutalbum begleiten und mittlerweile zu seiner festen Band zusammengewachsen sind. Und die sich beim Songwriting und Arrangement der elf Lieder des Albums zum Teil beteiltigt hat, wie zu Knyphausen im Gespräch erläutert. Diese Beteiligung hört man den Liedern an und gibt ihnen eine Tiefe, die den Songs des Debüts verständlicherweise noch fehlte, da diese zunächst nur für eine Gitarre geschrieben waren.

Raffiniertes Songwriting und präzise Arrangements

Das Arrangement  ist raffinierter und komplexer und nutzt die Möglichkeiten einer Band voll aus. Der Klang ist zudem dichter und dunkler. So zum Beispiel beim letzten Lied des Albums, „Nichts als Gespenster“, eine dunkle Ballade über die Piraten, die statt Handelsschiffe Seelen entern und das mit seiner präzisen Instrumentirung eines der beeindruckensten Lieder ist. Auch der Opener „Hey“ überrascht mit seinem Gitarrenausbruch am Anfang und sorgt für den bisher wahrscheinlich stürmischsten Gisbert-zu-Knyphausen-Moment.

Geblieben sind auch auf „Hurra, Hurra, so nicht“ die melancholischen, poetischen Texte, in denen es sich oft um Abschied, Schmerz oder Wut dreht. So singt zu Knyphausen gleich zu Anfang im Opener „Hey“ von „Gedanken aus Beton“, im dritten Lied „Grau, Grau, Grau“ von der allgegenwärtigen Frage, wie das alles hier weitergeht. Und im stärksten Lied des Albums, „Kräne“, verwandeln sich plötzlich selbige zu „gewaltigen Tieren, mit metallenen Klauen und Neonlicht Augen“, die im Hamburger Hafen ihre Arbeit verrichten.

Die Welt grässlich und wunderschön

Doch trotz aller Melancholie gelingt es zu Knyphausen nie verzweifelt oder depressiv zu klingen. Immer ist das auch ein Wille zum Aufbruch zu hören und die Erkenntnis, das Trauer und Glück nur zwei Seiten einer Medallie sind: „Die Welt ist grässlich und wunderschön“ heißt es dazu treffend in „Die Stille auf dem Rastplatz“ – das mit Abstand fröhlichste Lied auf dem Album. Und es gibt auch die kleinen Momente der Ironie und des Witz auf „Hurra! Hurra! So nicht!“, die zeigen, das der melancholische Musiker Gisbert zu Knyphausen nur die eine Seite der Person Gisbert zu Knyphausen ist. „Klischees und funkelnde Sterne“ ist so ein Beispiel, das zu Knyphausen von seiner selbstironischen Seite zeigt.

Und so gelingt es zu Knyphausen auf „Hurra! Hurra! So nicht!“ woran schon etliche Musiker gescheitert sind. Nach einem vielspechenden Debütalbum ein noch besseres Zweitwerk folgen zu lassen, das durch musikalische und textliche Reife besticht und dass das Leben als eine Geschichte zeigt, die aus Trauer und Glück besteht. Und dass es keinen Grund dafür gibt, deswegen daran zu verzweifeln.

„Hurra! Hurra! So nicht!“ ist am 23. April erschienen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert