Vor 30 Jahren veröffentlichten die Fehlfarben mit „Monarchie und Alltag“ eines der wichtigsten deutschen Alben. Jetzt ist ihr neues Album „Glücksmaschinen“ erschienen, auf dem sie zeigen, dass sie ihr Pulver noch lange nicht verschossen haben.
Im Jahr 1983 schrieb der Schriftsteller und spätere Gewinner des Ingeborg-Bachmann-Preises, Peter Glaser, einen Essay über den Zustand der deutschen Literatur. Darin fand sich ein Satz, der bis heute symptomatisch für die Rezeption der Fehlfarben ist. Glaser schrieb: „Das Buch des Jahres ist eine Schallplatte: Monarchie und Alltag von den Fehlfarben.“ Jenes Debutalbum erschien 1980 und es war ein Erweckungserlebnis: Es zeigte, das Musik mit deutschen Texten nicht nur Heile-Welt-Schlager sein mussten. In Verbindung mit der kühlen, monotonen und atmosphärisch-beklemmenden Musik, schafften die Fehlfarben ein einzigartiges Werk, das bis heute den Ruhm der Band begründet und Heerscharen deutscher Musiker beeinflusst hat.
Monarchie und Alltag
Man sollte der Band eigentlich wünschen, dass sich 30 Jahre nach „Monarchie und Alltag“ niemand mehr an dieses Album erinnert. Denn solch ein Werk, das von nicht wenigen als eines der wichtigsten Alben der deutschen Popgeschichte bezeichnet wird (in der Musikzeitschrift Spex wurde es sogar zur besten deutsche Platte des vorigen Jahrhunderts gekürt), kann Fluch und Segen zugleich sein. Segen, weil es 30 Jahre später immer noch Menschen gibt, die sich an die Band erinnern und dafür sorgen, dass man nicht in Vergessenheit gerät und vom Ruhm vergangener Tage zehren kann. Ein Fluch, weil eben alle Welt jedes neue Album mit diesem einen Werk vergleicht, um dann abschätzig festzustellen, dass die Band ihr Pulver wohl schon verschossen habe. Das war bei in zum Teil großen Abständen veröffentlichten Alben danach und das wird auch jetzt bei „Glücksmaschinen“, dem soeben erschienen neuen, insgesamt achten Album der Fehlfarben nicht anders sein.
Viele Bands wären in so einer Situation versucht, einfach einen Abklatsch des Erfolgalbums immer und immer wieder aufzunehmen. Nicht so die Fehlfarben. Die sechs Studioalben, die sie nach „Monarchie und Alltag“ zum Teil in großen Abständen zueinander und mal mit veröffentlichten Alben, versuchten nie wie das Erfolgsalbum zu klingen. Auch ihr neues, soeben erschienenes Album „Glücksmaschinen“ macht da keine Ausnahme.
80er-Jahre-Referenzen statt Retrochic
Die acht Lieder, die das Album leider nur enthält, kommen ohne verstaubten Retrochic und überbordenden Tand daher – auch wenn die Fehlfarben den 80er Jahren ihre Referenz erweisen. So zum Beispiel bei „Stadt der 1000 Tränen“, dessen Gitarrenmelodie stark The Cure erinnert. Oder das dritte Lied des Albums „Neues Leben“, dessen Bass so stoisch monoton aus den Boxen drückt, wie einst DAF’s „Verschwende deine Jugend“. Oder der Titelsong „Glücksmaschinen“, bei dem Schlagzeugerin Saskia von Klitzing (einziges aktuelles Bandmitglied, das nicht aus der Originalbesetzung stammt), Bassist Michael Kemner, Pyrolator am Synthezizer und Laptop, und die Gitarristen Uwe Jahnke und Frank Fenstermacher den atmosphärischsten Song des Albums abliefern.
Kein Gramm Fett zu viel
Musikalisch sind die Fehlfarben im Gegensatz zu ihren letzten Veröffentlichungen einen Schritt zurück gegangen und haben den Weg der Reduktion gewählt. So wurden zum Beispiel die Bläser weggelassen, die noch auf „Knietief im Dispo“ und „Handbuch für die Welt“, den beiden Alben zuvor, zu hören waren. Auch auf Overdubs wurde verzichtet. Stattdessen wurden die Stücke von „Glücksmaschinen“ komplet live einspielt. Das Resultat ist ein erstaunlich roughes Album, das musikalisch kein Gramm Fett zu viel mit sich herum trägt. Die Songs kommen auf den Punkt, klingen kompakt. Die Gitarren sind aggressiv, die Sytheziser- und Keyboardklänge sorgen für die nötigen Haken und Ösen, die die Songs vor der Beliebigkeit bewahren, während Bass und Schlagzeug die Lieder meist mit einem stoisch-monotonen Beat nach vorne treiben. Im Zusammenspiel klingt das frisch und aktuell – so atmosphärisch klangen die Fehlfarben seit „Monarchie und Alltag“ nicht mehr.
Schmunzeln statt Kulturpessimismus
Dazu der schneidende Gesang von Peter Hein, der immer noch einer der besten deutschen Texter ist und dessen Timbre der Grazer Drehbuchautor und Bandkollege bei Heins zweiter Band, Family 5, einst sehr treffend beschrieb: „Selbst über eine Gegensprechanlage würde er die Emotionen ungefiltert rüberbringen.“
Wie es Hein auch auf dieser Platte schafft, eigentlich bekannte Themen in Texte zu fassen und zu besingen, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben oder in abgeriffene Klischees abzudriften, macht einfach Spaß beim Hören. Allein schon, wie er mit bissiger Ironie in „Vielleicht Leute 5“ das Leben im Web 2.0 besingt, ohne in einern Schirrmacher’schen Kulturpessimimus oder stumpfen Klamauk zu verfallen, ist toll. „Man fragt sich doch, wo die Leute sind, dass man nie jemand trifft, hat man nicht vorgesimst, man wusste doch nie, ob man wirklich Freunde hat, der Freundezähler hat’s an den Tag gebracht“, singt er da noch mit schmunzelnder Altersweiheit, nur um dann mit den Folgen fortzufahren: „Was hat man sich gefürchtet, ob der Blockwart etwas weiß, doch in jedem Forum gibt man die Penislänge preis, der böse große Bruder ist längst ein kleines Licht, man ist jederzeit auf Livecam, zu verbergen hat man nichts.“
Aus Idealen wurden Glücksmaschinen
Mit Selbstironie begegnet Hein auch dem Alter und seinen Folgen. Im Titelsong „Glücksmaschinen“ etwa geht es über das Lebensgefühl einer Generation, die damit fertig werden muss, dass sie so geworden ist, wie sie nie werden wollte („Du weißt, du sagtest immer ‚Sie‘, du kanntest sie, die Bösen,…, und jetzt sitzt du da, im eigenen Heim, musst Kinder hüten“) und die sich mit Gewissheit tröstet, sich noch ein wenig des rebellischen Gestus der Jugend bewahrt zu haben, weil: „Uns kann man ruhig mal falsch bedienen.“ Und wenn man das so hört, dann klingt das auch wie ein selbstironischer Rückblick auf die eigene Vergangenheit der Fehlfarben, deren männliche Bandmitglieder mittlerweile allesamt jenseits der 50 sind.
Ernste Ohrwürmer
Hein beherrscht jedoch auch die ernsten Töne. Das vierte Lied des Albums, „Aufgeraucht“, ist so ein Beispiel. In dem Stück, das nach einigem Hören ungeahnte Ohrwurmqualitäten entwickelt, geht es um die Folgen eines ungezügelten Finanzkapitalismus. „Man trifft sich am Tresen fast jeden Tag, ach da ist ja schon wieder ein Neuer, der hat gestern noch Fördergelder gejagt, …optimieren, sanieren, wenn die Kurse wieder explodieren, optimieren, sanieren, endlich wieder fremdrisikieren.“
Das Pulver brennt noch
So zieht sich das durch das komplette, mit acht Liedern leider recht kurze Album: Die Stücke variieren zwischen bissiger Ironie und klischeeloser Ernsthaftigkeit. Dazu die Musik, die knackig und druckvoll klingt – sich trotz 80er Jahre Reminizenzen, zeitgenössisch anhört und nicht wie ein Aufguss 30 Jahre alter Ideen. Und man muss Peter Hein beipflichten, wenn er im Titellied singt: „Wir leben, wir sind Glücksmaschinen, wir sind längst nicht ausgeschieden.“ Und ein „Zum Glück“ anfügen: Von Altermüdigkeit ist bei den Fehlfarben anno 2010 nichts zu spüren. „Glücksmaschinen ist ein zeitloses und gutes Album geworden, das auch ohne den Ruhm der Vergangenheit im Heute besteht. Ihr Pulver haben die Fehlfarben noch lange nicht verschossen.
Hey Falk, macht immer wieder sehr viel Spaß hier zu lesen!