Leerstand kreativ nutzen

Das Team von Schnittstelle 5: Von oben beginnend von links nach rechts: Cornelia Günauer, Jakob Brauchle, Benjamin Kashlan, Bastian Knobloch, Arne Stei, Franziska Mamitzsch, Oliver Konter, Gregor Arnold, Nicola Diehl.
Das Team von Schnittstelle 5: Von oben beginnend von links nach rechts: Cornelia Günauer, Jakob Brauchle, Benjamin Kashlan, Bastian Knobloch, Arne Stei, Franziska Mamitzsch, Oliver Konter, Gregor Arnold, Nicola Diehl. BIld: Schnittstelle 5

BÜRGERBETEILIGUNG Der Mainzer Verein Schnittstelle 5 versucht leerstehende Immobilien an Raumsuchende zur Zwischenmiete zu vermitteln. Ein spannendes und sinnvolles Projekt, das in meinen Augen auch eine Form der Bürgerbeteiligung darstellt, und über das ich mehr erfahren wollte.

Wie in vielen Städten Deutschlands herrscht auch in Mainz ein Mangel an günstigem Wohn- und Geschäftsraum sowie fehlende soziokulturelle Entfaltungsräume für die Kunst- und Kreativszene. Eine Möglichkeit dem Mangel zu begegnen, ist eine verstärkte Zwischennutzung leerstehender Räume. Niemand hat etwas davon, wenn Immobilien leerstehen – der Besitzer nicht, der trotzdem für den Unterhalt sorgen muss, und die Stadtgesellschaft ebenso nicht. Ein Raum, der nicht genutzt wird, vergeudet sein Potenzial. Zu dieser Erkenntnis kam vor rund zwei Jahren eine Gruppe junger, stadt- und kulturinteressierter Menschen, die den gemeinnützigen Verein Schnittstelle 5 gründeten. Der Verein sieht sich als Bindeglied zwischen raumsuchenden und raumbietenden Akteuren. Das heißt, das neunköpfige Team versucht leerstehende Räume und Gebäude in Mainz zur Zwischennutzung an soziale und kulturelle Projekte zu vermitteln. Damit soll eine nachhaltige Stadtentwicklung in Mainz gestärkt und neue Möglichkeitsräume erschlossen werden. In meinen Augen ist dieses Engagement auch eine Form der Bürgerbeteiligung – wenn auch eine abseits der formellen Wege, welche die Stadt Mainz zum Beispiel mit seinen Bürgerforen bietet. Deshalb stellte ich Nicola Diehl und Jakob Brauchle, die Teil des neunköpfigen Teams sind, einige Fragen zur Bürgerbeteiligung in Mainz und der Arbeit der Schnittstelle 5.

Nicola und Jakob, aus welchem Grund habt ihr die Schnittstelle 5 gegründet?

Alle Gründungsmitglieder der Schnittstelle5 wohnen in Mainz und wir haben in unserem täglichen Alltag bemerkt, dass immer mehr Flächen in der Innenstadt leer stehen und dass gleichzeitig unglaublich viele Initiativen, Vereine, lose Gruppen aus der freien Kulturszene oder sozialen Bereichen Räume suchen. Dieser Fehlentwicklung wollten wir etwas entgegensetzen und dafür sorgen, dass zum einen in der Stadt nicht überall gähnende leere Flächen klaffen und zum anderen die Bewohner dieser Stadt Raum finden, um ihre Ideen, ihre Projekte umzusetzen. Wir möchten eine lebendige Stadt, die der Bürger mitgestalten kann und nicht einen vom Kapitalmarkt und Immobilienspekulanten dominierte Stadtentwicklung. Wir wollten nicht nur klagen, sondern selbst aktiv werden. Und das haben wir getan. Wir haben die Schnittstelle5 gegründet und Eigentümer oder Gesellschaften von leeren Liegenschaften angesprochen und sie darum gebeten, ihre leeren Flächen diesen Raumsuchenden für einen sehr geringe Pauschale (Stromkosten, Heizkosten) zur Verfügung zu stellen.

Woran hapert die Bürgerbeteiligung in Mainz eurer Meinung nach?

Bürgerbeteiligung kann auf vielen Ebenen funktionieren. Eine sinnvolle Form ist es unserer Meinung nach, Bürgern Raum zu geben, um ihre Ideen umzusetzen. Damit gestalten sie Stadt mit, fühlen sich mit ihrer Stadt stärker verbunden. Das führt zu einem zufriedeneren Leben der Bewohner und stärkt das Stadtgefüge, die Identität mit der Stadt. Für diese Form der Bürgerbeteiligung fehlt es in Mainz offenbar noch an Verständnis und Überzeugung, denn die Unterstützung seitens der Stadt ist eher mangelhaft.

Bürger sollten natürlich auch an großen Entscheidungen, die in der Stadt passieren, beteiligt werden. Inwieweit Bürgerforen hier tatsächlich eine Möglichkeit bieten, wagen wir nicht zu beurteilen. Aber zu dieser Frage sind wir vielleicht auch nicht der richtige Adressat, weil „Bürgerbeteiligung im engeren Sinne“ nicht der Kern unserer Arbeit ist.

Ich frage trotzdem noch ein wenig weiter, weil ich finde, dass eure Arbeit schon eine Form der Bürgerbeteiligung darstellt. Die Stadt Mainz hat in der Zwischenzeit mit den Bürgerforen eine institutionalisierte Form der Bürgerbeteiligung installiert. Haltet ihr das für einen sinnvollen Weg, die Bürger mehr am politischen und gesellschaftlichen Geschehen in Mainz teilhaben und partizipieren zu lassen?

Grundsätzlich sollte man Beteiligungsformen nach (mindestens) zwei Kriterien beurteilen: Wie hoch ist der Grad der tatsächlichen Entscheidungsbefugnis? Das kann sich zwischen Alibiformen wie „Pseudo“-Abstimmungen, bei denen nicht wirklich mitentschieden werden kann und selbstbestimmten Beteiligungsformen, bei denen Dinge in Selbstverwaltung entschieden werden können, bewegen.

Und zweitens: Um was geht es? Wie „wichtig“ ist die Sache, an der beteiligt wird?

Das heißt nun auch, dass es durchaus mehr bringen kann, an einer großen Sache mit in den Entscheidungsprozess einbezogen zu werden (wirklich gehört zu werden oder wirklich mit abstimmen zu können), als im Kleinen, wie es heißt, auf der „Spielwiese der Demokratie“ etwas selbstbestimmt zu machen.

Die Bürgerforen in Mainz, wie zum Beispiel die LuFos zum ECE-Bau, haben wir besucht, aber wir sind zu wenig in den Prozessen drin, um uns hier eine profunde Meinung zu bilden.

Euren Verein gibt es seit knapp zwei Jahren. Wie ist mittlerweile euer Verhältnis zur städtischen Verwaltung? In einer Pressemitteilung kritisiert ihr, dass die Kommunikation nur sehr zäh verläuft und klare Ansprechpartner fehlen.

Wir arbeiten derzeit ohne tatsächliche Unterstützung der Stadt. Lediglich unser Vereinsbüro hat uns die Stadt bzw. viel mehr die Wohnbau als stadtnahe Gesellschaft gestellt. Ansonsten erhalten wir keine Unterstützung. Das enttäuscht uns nach wie vor, aber wir möchten auch nicht mehr ständig als Bittsteller auftreten. Die Unterstützung sollte von alleine kommen. Die Stadt hat die Bedeutung der Leerstandsproblematik in einer Stadt wie Mainz mit so großem Druck auf den Immobilienmarkt offensichtlich leider noch immer nicht erkannt. Sonst würde sie dem Thema und unserer Arbeit mit mehr Ernsthaftigkeit begegnen.

Langfristig müssen wir natürlich Konsequenzen daraus ziehen, denn ehrenamtlich ist die Arbeit, die wir leisten, auf Dauer nicht machbar.

Wo könnte die Stadt Mainz euch besser unterstützen?

Da gibt es einige Punkte, bei denen uns die Stadt mehr unterstützen könnte. Sinnvoll wäre es zum Beispiel, eine Lenkungsgruppe oder einen runden Tisch „Umgang mit Leerstand in der Mainzer Stadtentwicklungspolitik“ ins Leben zu rufen. Wir haben das mehrfach als Idee eingebracht, bisher gibt es dieses Gremium noch immer nicht.

Generell sollten die politischen Akteure der Stadt Mainz das Thema Leerstand stärker auf die politische Agenda setzen – also nach innen in die Verwaltung, aber auch nach außen kommunizieren, so dass sich Eigentümer stärker in der Verantwortung sehen, leere Flächen zur Verfügung zu stellen. Der Druck auf den Mainzer Immobilienmarkt, insbesondere auch auf Wohnungen, ist hoch. Wir können uns Leerstände nicht leisten.

Schön wäre es auch, wenn uns die Verwaltung städtische Liegenschaften, von denen klar ist, dass sie in naher Zukunft leerstehen werden, frühzeitig mitteilen würde.

Und natürlich würden wir uns über eine finanzielle Unterstützung unserer Arbeit freuen, denn langfristig können wir das nicht ehrenamtlich betreiben. Jeder von uns ist rund zehn Stunden in der Woche mit der Arbeit der Schnittstelle beschäftigt – derzeit rein ehrenamtlich. In anderen Städten gibt es Stellen zum Leerstandsmanagement, zum Beispiel in Stuttgart. Das würde helfen.

Glaubt Ihr, dass Stadtpolitik und -verwaltung überhaupt an einer Bürgerbeteiligung, wie Ihr sie betreibt, interessiert sind?

Wir betreiben in dem Sinne ja keine Bürgerbeteiligung. Aber es ist natürlich schon Bürgerbeteiligung im weiteren Sinne, da wir die Bürger an der Entwicklung ihrer Stadt beteiligen. Wir lassen sie nicht an Entscheidungsprozessen teilhaben, aber wir geben ihnen ein Stück Raum ihrer Stadt, mit dem sie „ihr Ding“ machen können.

Auf der anderen Seite sind wir ja auch engagierte Bürger, die sich an Stadtentwicklung beteiligen (möchten). Inwieweit die Stadt daran interessiert ist, können wir nicht beantworten. Diese Frage muss an die Stadt gestellt werden. Wir sehen nur, inwieweit uns die Stadt unterstützt/nicht unterstützt – sowohl bei Aufbau unserer Organisation, als auch heute im Bezug auf die Vermittlung von Räumen. Daran lässt sich eventuell ein Interesse oder Desinteresse der Stadt an unserer Form der Bürgerbeteiligung ablesen.

Es macht natürlich den Anschein, dass die Stadt in dem Sinne sehr an unserer Arbeit interessiert ist, weil wir Aufgaben – Raumbeschaffung für die kulturelle Szene – übernehmen und als ehrenamtlicher Verein keine Kosten verursachen. Bevor es uns gab, war der Raummangel für Kultur ein schwieriges Thema für das Kulturdezernat und es gab großen Druck aus den Reihen der Bürgerschaft. Dafür, dass wir diese wichtige Aufgabe übernehmen, erwarten wir von der Stadt doch etwas mehr Unterstützung.

Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen. Ich wünsche euch weiterhin viel Erfolg mit eurer Arbeit!

Weitere Artikel zum Thema Bürgerbeteiligung finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert