
BÜRGERBETEILIGUNG Partizipation funktioniert nur mit Identifikation – auf diesen Kernsatz lässt sich der Ansatz des Wiesbadener Startups MySocialCity zusammenfassen. Die kreativen Köpfe hinter MySocialCity sind Sascha Eschmann und Svenja Bickert, die das Startup 2014 gegründet haben. Gemeinsam mit ihrem einem Experten-Netzwerk wollen sie Schnittstellen schaffen, die eine Kommunikation zwischen Stadt und Bürgern auf Augenhöhe ermöglicht. Die bisherigen Formen der Bürgerbeteiligung, die es in Wiesbaden und anderen Städten schon gibt, würden das nicht leisten.
„Es ist ja nicht so, dass es noch keine Formen der Bürgerbeteiligung gibt. In Wiesbaden und anderen Städten gibt es Bürgerversammlungen oder Websites, auf denen Bürger Dinge melden oder Verbesserungsvorschläge einreichen können“, sagt Medienwissenschaftler Eschmann. „Aber wirklich funktionieren tut das nicht.“ Von solchen Formen würden sich nur die Bürger angesprochen fühlen, die sich sowieso schon engagieren, aber nicht der große Rest der Bevölkerung. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Kommunikation bislang zunächst sehr einseitig verlaufe. Die Stadt gebe ein Thema vor und dann dürften sich die Bürger dazu äußern. „Ich lebe schon lange in Wiesbaden, arbeite hier und zahle brav meine Steuern. Aber mich hat noch nie jemand von der Stadt gefragt, wie es mir geht. Wie es mir hier gefällt. Was für Stadtthemen mich umtreiben und was ich gerne ändern würde“, hat Eschmann festgestellt.
Wohlfühlfaktoren statt ökonomische Daten
Ein Grund dafür könne sein, dass die Stadt Wiesbaden sich bisher vor allem mit ökonomischen Daten wie dem Durchschnittseinkommen oder den Arbeitslosen in der Öffentlichkeit darstellen würde. „Aber die Frage ist ja, ob ich gerne hier lebe. Ob ich wieder hierher ziehen würde, wenn ich die Wahl hätte. Diese Wohlfühlfaktoren kommen in der gegenwärtigen Diskussion über Bürgerbeteiligung und Stadtentwicklung viel zu kurz“, so Eschmann. „Nur wenn ich mich in der Stadt, in der ich lebe, wohlfühle, identifiziere ich mich auch mir ihr. Identifikation schafft Motivation und Motivation schafft Interaktion“, ist sich Eschmann sicher. Bürgerbeteiligung laufe Gefahr sich nur auf die großen städtebaulichen Themen zu konzentrieren, und nur die Menschen zu erreichen, die sich mit dem Thema sowieso beschäftigen. Die große Frage für die Stadt Wiesbaden laute deshalb, wie eine Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt geschaffen werden kann.
Deshalb will MySocialCity die abstrakte Ebene verlassen und die Stadt mit konkreten, kleinen Dingen zu verbessern. „Wir denken, Identifikation lässt sich am besten im eigenen Viertel oder Stadtteil herstellen. Wenn mir der Straßenverkehr in meinem Viertel Sorgen macht, ist mir das Stadtmuseum erst einmal egal“, glaubt Eschmann. Die Stadt müsse sich fragen, wo sie die Bürger erreichen und abholen könne.

Bürgerbeteiligung muss niederschwellig sein
Ein anderer Grund, der eine funktionierende Bürgerbeteiligung erschwert, sehen Designerin Bickert und Eschmann in der Ressource Zeit. So finden die Workshops der Stadt Wiesbaden zur Erarbeitung der Leitlinien zur Bürgerbeteiligung an Samstagnachmittagen statt. Andere Bürgerversammlungen finden abends statt. Für Menschen mit Familie oder kleinen Kindern stellt das eine Hürde dar, wenn sie sich beteiligen wollen. Wer die Woche über arbeiten muss und deshalb wenig Zeit für die Familie hat, überlegt sich zweimal, ob er oder sie an diesen Veranstaltungen teilnimmt. Die Teilnehmerstruktur der Workshops und Bürgerversammlungen bestätigt das. Der Großteil der Teilnehmenden sind Menschen, die 40 Jahr oder älter sind. Jüngere Menschen trifft man nur vereinzelt an.
Angebote zur Bürgerbeteiligung müssten deshalb niederschwellig sein, sagt Bickert. „Es ist wichtig, dass sich diese Angebote gut in den Alltag der Menschen integrieren lassen.“ Das Startup entwickelt deshalb eine App, die regelmäßig kurz und knapp Wohlfühlfaktoren abfrage. „Die Nutzer bekommen eine Push-Nachricht, die sie mit ja oder nein beantworten. Das lässt sich leicht und ohne großen Zeitverlust in den Alltag integrieren.“ Der Vorteil für die Stadt: Sie bekommt eine Vielzahl von Daten, die sie für die Stadtentwicklung einsetzen kann und die sie auf anderem Wege nur schwer erhalten hätte. Im Sommer soll die App in die Testphase gehen.

Tausche Idee gegen Kaffee
Doch niederschwellige Angebote können auch offline ohne größeren Aufwand geschaffen werden. So hat das Startup vor einiger Zeit einen Versuch mit einem mobilen Bürgertisch an der Jahnschule gemacht, der unter dem Motto „Tausche Idee gegen Kaffee“ lief. „Unsere Idee war, dass wir dort ganz viele unterschiedliche Menschen erreichen können, nämlich die Eltern, die nach Schulschluss ihre Kinder abholen“, sagt Bickert. Die Jahnschule ist eine multikulturelle Schule, mit Kindern aus vielen Nationen und Kulturkreisen und gesellschaftlichen Schichten. „Die Eltern sollten uns einen Verbesserungsvorschlag geben oder mitteilen, wo es Probleme gibt. Dafür haben sie von uns einen Kaffee bekommen“, so Bickert. Das Feedback sei gut gewesen. Und der Aufwand war überschaubar. Für die Eltern, die sich fünf Minuten Zeit nehmen mussten, und auch für das Startup, da ein Klapptisch und ein paar Kannen Kaffee schnell und leicht zu transportieren und aufzubauen sind. „Das wäre eine sehr einfache Möglichkeit für die Stadtverwaltung, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Das sind dann natürlich meist nicht die großen stadtpolitischen Themen, die dort angesprochen werden, sondern kleine Dinge, wie zum Beispiel, das die Mülleimer zu selten gelehrt werden, oder das es vielleicht noch mehr Zebrastreifen oder Fußgängerampeln um die Jahnschule geben müsste. Aber mit so kleinen Dingen kann man Identifikation schaffen und die Menschen untereinander ins Gespräch bringen“, glaubt Bickert. Und man erreicht Menschen, die eine Bürgerversammlung wahrscheinlich nie besuchen würden.
Wichtig ist den beiden die Feststellung, dass ihr Konzept nur gemeinsam mit der Stadt funktionieren kann, nicht gegen sie. Glücklicherweise treffe man in der Stadtverwaltung auf offene Ohren, sagen sie und loben die bisher konstruktive Zusammenarbeit. Das äußerte sich in einem ersten konkreten Projekt, das MySocialCity gemeinsam mit der Stabstelle „Sauberes Wiesbaden“ umgesetzt hat: ein Innovations-Workshop, in dem Ende Februar konkrete Verbesserungsvorschläge erarbeitet wurden, um Wiesbaden sauberer zu machen. Rund 40 Bürgerinnen und Bürger nahmen teil. Auch wenn etliche der Teilnehmenden zunächst skeptisch waren, konnten am Ende der halbtäglichen Veranstaltung 15 konkrete Ideen präsentiert werden. Diese umfassten Themenbereiche wie Sauberkeit auf Gehwegen, Zustand und Füllstand der Mülleimer, Sauberkeit in Parks und auf Spielplätzen sowie Zustand der Baumscheiben und Grünstreifen. Svenja Bickert und Sascha Eschmann jedenfalls sind begeistert von den Resultaten des Workshops.

Gestalten geht nur gemeinsam
„Wir als MySocialCity können allgemein ein sehr positives Fazit ziehen, denn in den fünf Gruppen sind spannende und realisierbare Ideen mit den Bürgern erarbeitet worden. Zudem konnten wir zeigen, dass man statt nur zu diskutieren, mit dem richtigen Konzept auch produktiv Vorschläge gemeinsam erarbeiten kann“, sagt Bickert. Selbst die zunächst kritischen Stimmen hätten sich zum Ende der Veranstaltung in positives Feedback verwandelt. „Wir sind stolz darauf und sind gespannt, welche Ideen es wohl in die nächste Runde schaffen werden.“ Die Stabsstelle prüft derzeit, ob und wie die einzelnen Ideen umgesetzt werden können. Aufgrund der zahlreichen Ideen und Kommentare werde dies einige Zeit in Anspruch nehmen. „Die Prüfung wird nach einheitlichen Kriterien erfolgen, die anschließend eine transparente Entscheidung über die Umsetzung einzelner Ideen ermöglichen“, betont Aline van den Borg von der Stabsstelle.
Ein erster Schritt ist gemacht. Es wird nicht der Letzte von MySocialCity gewesen sein, um die Stadt gemeinsam zu gestalten.
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