DAS NETZ WIRD ZUR JUKEBOX

Der Musikkonsum steht vor einer kleinen Revolution. Grund dafür ist mal wieder das Internet. Neue Musikdienste verwandeln das World Wide Web in eine gigantische Jukebox, die kaum einen musikalischen Wunsch offen lässt. Gut für den Nutzer: Meistens kostet ihn das Ganze keinen Cent.

Gigabyte-große MP3-Sammlungen auf dem heimischen PC könnten schon bald der Vergangenheit angehören. Der Grund: Musikstreams werden immer beliebter. Bei einer ganzen Reihe von Anbietern können Nutzer im Internet gratis so viel Musik hören wie sie wollen und das Beste daran: Das Ganze ist völlig legal. Die Musikdienste zahlen Lizenzgebühren an die Schallplattenfirmen, um die Lieder kostenfrei anbieten zu dürfen.

Last.fm machte vor ein paar Jahren den Anfang und bot seinen Nutzern die Möglichkeit, sich kostenfrei komplette Alben völlig legal anzuhören. Im Frühjahr des vergangenen Jahres stellte Last.fm diese Funktion jedoch wieder ein und bietet seitdem im Kern nur noch eine personalisierte Radiofunktion. Die Lizenzkosten seien zu hoch geworden, heißt es. Angeblich kassieren die Plattenfirmen von den Streaming-Anbietern im Schnitt einen Cent pro angeklickten Song. Die Einnahmen, vor allem aus Werbung, wuchsen langsamer als die Kosten.

 

Last.fm machte den Anfang

 

Doch das Feld war bestellt. Eine Reihe neuer Anbieter versucht zu ernten, was Last.fm gesät hat und es finanziell besser zu machen. Meist bieten On-Demand-Streamingdienste, wie das direkte Anwählen von Liedern auch genannt wird, eine kostenfreie Variante an, die sich durch Werbung auf den Seiten und Werbesports zwischen den Liedern finanzieren soll, sowie eine kostenpflichtige Variante, die dafür auf Werbung verzichtet.

Der hierzulande bekannteste und derzeit einzige deutsche Anbieter ist Simfy aus Köln. Von der Idee und seinen Grundfunktionen unterscheidet er sich kaum von anderen Anbietern wie Deezer aus Frankreich oder We7 aus Großbritannien, die ebenfalls in Deutschland genutzt werden können. Der Nutzer gibt in ein Suchfeld den Namen eines Künstlers ein und der Musikdienst spuckt die Ergebnisse aus. Ein Mausklick auf die gewünschten Stücke und ein integrierter Musikplayer spielt die Lieder ab.

Die einzelnen Titel werden dabei nicht mehr auf den Computer heruntergeladen, wie etwa bei herkömmlichen Downloads, sondern werden ähnlich wie bei dem Videoportal YouTube oder der ARD Mediathek direkt vom Server des Anbieters abgespielt. Ein einfacher DSL-Anschluss reicht dafür schon aus.

Jeder Musikgeschmack wird bedient

Bisher hat Simfy nach eigenen Angaben 6,2 Millionen verschiedene Titel von allen großen Major- und Indielabels im Angebot, davon frei zugänglich sind 5,5 Millionen. Von Klassik, Rock, Pop, Jazz über Heavy Metal, Punk, Hip-Hop, Country  bis zum Schlager gibt es fast alles, was das musikalische Herz begehrt – außer Künstlern von Warner Music. Die Plattenfirma weigere sich, ihre Produktionen für eine Gratis-Nutzung freizugeben, sagt Simfy-Sprecher Marcus von Husen. Neue Alben von Künstlern wie Kid Rock, Nena oder Michael Bublé seien daher nur als kostenpflichtige Premium-Angebote verfügbar.

In der kostenpflichtigen Variante können Simfy-Nutzer über Apps für den Desktop oder das Handy ihre Lieblingslieder auf dem jeweiligen Gerät zwischenspeichern und so auch offline überall hören. Nach Vertragsende werden die Lieder wieder automatisch gelöscht.

Die Zahl der Anbieter steigt

Die Akzeptanz der Streaming-Anbieter nimmt weltweit gewaltig zu – auch wenn Deutschland dieser Entwicklung noch etwas hinterherhinkt. Zwar steigen hierzulande die Umsätze aus dem digitalen Geschäft seit Jahren zweistellig, doch 2009 betrug der Umsatz aus Lizenzeinnahmen aus Streaming-Services und Abogebühren nur jeweils einen Prozent am Gesamtumsatz der deutschen Musikindustrie – da war aber zum Beispiel Simfy noch nicht als Streamanbieter am Markt. Aktuellere Zahlen lägen derzeit noch nicht vor, sagt Daniel Knöll vom Bundesverband Musikindustrie (BVMI).

Anders sieht die Entwicklung in den USA aus – dem größten Musikmarkt der Welt. Dort wurden 2009 schon 40 Prozent der Umsätze aus dem digitalen Geschäft generiert. Das US-Marktforschungsunternehmen NPD Group will herausgefunden haben, dass in den Vereinigten Staaten Musikstreams fast so häufig genutzt werden, wie legale und illegale Downloads zusammen – wobei nicht klar ist, wie sie die Zahl der illegalen Downloads ermittelt haben. Und in Frankreich hat Musikstreaming laut einer Untersuchung des Marktforschungsinstituts Mediametrie den Download bereits überholt.


Streaming
Als Streaming wird ein Verfahren bezeichnet, bei dem Nutzer Videos oder Musik direkt auf der jeweiligen Homepage anschauen oder anhören können. Anders als beim Download muss vor der Wiedergabe keine Datei auf den Computer herunterladen werden, sondern sie wird direkt vom Server des Anbieters abgespielt. Bekanntestes Beispiel dürfte das Videoportal YouTube sein. Aber auch die ARD-Radiowellen sowie Radiostationen weltweit nutzen die Technik, um ihr Programm live im Internet zu übertragen.
Die eigentliche Technik gibt es schon lange. Doch lange Zeit verhinderten zu geringe Bandbreiten der Internetanschlüsse und mangelnde Leistungskapazitäten der Heimcomputer den Durchbruch der Technik. Dank der mittlerweile flächendeckenden Verbreitung schneller DSL-Internetanschlüsse, günstigen Flatrates und der steigenden Leistungsfähigkeit der Heimcomputer ist die Technik inzwischen weit verbreitet und ohne Probleme nutzbar.

Verschiedene Anbieter buhlen um Nutzer

Ein etwas anderes Konzept als Simfy, Deezer oder We7 verfolgt Muziic. Die Seite listet Songs auf, die auf YouTube verfügbar sind und bietet sie als Stream an. Allerdings haben die Betreiber bisher keine Vereinbarung mit Plattenfirmen oder Verwertungsgesellschaften abgeschlossen, so dass fraglich ist, ob Muziic mit diesem Geschäftsmodell eine Zukunft hat. Gegen ähnliche Seiten, die Lieder von Internetradios aufzeichnen und als kostenlosen Download anbieten, prüft die GEMA derzeit rechtliche Schritte.

Wer Musik abseits des Mainstreams und möglicherweise die Stars von morgen entdecken möchte, der ist bei Jamendo gut aufgehoben. Der Talentschuppen bietet ausschließlich Musik von Künstlern an, die nicht bei Verwertungsgesellschaften wie der GEMA gelistet sind. Bisher umfasst der Katalog rund 150.000 Songs und 10.000 Alben von weit mehr als 5.000 Künstlern. Alles kann als Stream direkt auf der Seite angehört werden. Wer will, kann sich die kompletten Alben samt Cover auch kostenfrei herunterladen.

Illegale Downloads werden wegen Streaming weniger

Doch nicht nur die Konsumenten profitieren von der neuen „Kostenlos-Kultur“: Mehrere internationale Studien zeigen, wer die Gratis-Angebote der digitalen Jukeboxen nutzt, lädt sich weniger Musik von illegalen Tauschbörsen herunter. Gut für die Musikbranche, sie leidet schon seit Jahren unter den illegalen Downloads. Jetzt kann sie wenigstens an den Lizenzgebühren verdienen. „Natürlich dämmen wir mit mehreren legalen Angeboten gleichzeitig den illegalen Markt ein“, sagt denn auch Daniel Knöll vom BVMI. Und gibt zu bedenken: „Dass es sehr schwierig ist, sich auf dem Markt zu etablieren, wenn Sie gegen kostenlose Angebote kämpfen.“

Der Artikel ist ursprünglich bei ARD.de erschienen

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