Rund zwei Wochen lang wurde im S-Bahn-Tunnel der Stadt Frankfurt am Main rund um die Uhr geschweißt, gebohrt und gehämmert. Für DGUV Arbeit & Gesundheit habe ich den Gleisbauern über die Schulter geschaut, als neue Schienen verlegt wurden. Eine Bericht aus dem Untergrund.
Die Rolltreppe hinunter zum Bahnsteig am Frankfurter Lokalbahnhof funktioniert noch. Doch statt dicht gedrängter Menschenmassen auf den Treppen und den Bahnsteigen herrscht nur Leere. Das hat einen Grund: Die S-Bahn-Tunnel, die sich unter der Mainmetropole durch das Gestein gefressen haben, sind zurzeit für den Bahnverkehr gesperrt. Statt der S-Bahnen, die alle zweieinhalb Minuten durch die Tunnel donnern, sind nur vereinzelte Rufe der Arbeiter sowie das Krachen von Metall und das Kreischen der Trennschleifer zu hören. Insgesamt 120 Bauarbeiter sollen in zwei Wochen eine der am häufigsten befahrenen Strecken in Deutschland wieder auf Vordermann bringen. In dieser Zeit verlegen sie jeden Tag rund um die Uhr neue Schienen und schleifen alte ab, montieren neue Signale, installieren Kabelverbindungen, bessern Weichen aus und montieren Schaltkästen. Die Bauarbeiten, die während der hessischen Osterferien stattfanden, sind Teil einer aufwendigen Modernisierung des S-Bahn-Tunnels, die 2018 in der Inbetriebnahme eines neuen elektronischen Stellwerks münden soll.
Doch bevor es so weit ist, werden erst einmal die Schienen hinter der Station Lokalbahnhof ausgetauscht. Sie müssen alle 16 Jahre erneuert werden. „Etwa eine Million Tonnen Last tragen die Schienen pro Woche. Irgendwann ist die Lebensdauer vorbei“, sagt Andreas Radlegger, Projektingenieur Stellwerk S-Bahn-Tunnel Frankfurt. Da der S-BahnTunnel für die Arbeiten am neuen Stellwerk sowieso gesperrt werden muss, nutzt die Deutsche Bahn die Gelegenheit und erneuert kurzerhand die Schienen – auf einer Länge von 1,2 Kilometern. Und damit die 120 Meter langen Schienen viel tragen können, wiegen sie eine Menge: 7,2 Tonnen.
Deutlich wird sofort: Die Sicherheit steht an erster Stelle. Ohne entsprechende Persönliche Schutzausrüstung kommt niemand auf die Baustelle. Das heißt, Fuß- und Kopfschutz sind ebenso Pflicht wie die orangenfarbige Warnkleidung mit Reflektoren und die Schutzbrille, wenn geschweißt oder geschliffen wird. „Wir haben auch schon Arbeiter wieder nach oben geschickt, wenn sie zum Beispiel keine geeigneten Schuhe getragen haben“, betont Radlegger. Damit ist es aber nicht getan. Von Anfang an sei Arbeitssicherheit ein fester Bestandteil der Bauplanungen gewesen, die seit rund drei Jahren laufen. Für die Arbeiten im S-Bahn-Tunnel Frankfurt wurden ein betrieblicher Alarm- und Gefahrenabwehrplan sowie eine Betriebs- und Bauanweisung (BETRA) für die Beschäftigten erstellt. Sicherheitsvorschriften und Fluchtwege sind festgelegt. Eine umfassende Gefährdungsbeurteilung für jeden Bauabschnitt ist selbstverständlich, dabei muss die Tunnelatmosphäre besonders berücksichtigt werden.

Im Tunnel ist es trotz Beleuchtung dämmrig. Es riecht nach Teer. Es ist zugig und kalt, nichts hier unten erinnert an die frühlingshaften Temperaturen über Tage. Staub wirbelt umher. Die Wände der Röhren sind nackter, grauer Beton. Ein wenig einladender Ort. „Verhältnisse, fast wie im Bergbau“, sagt Ralf-Ulrich Michalski. Der Diplom-Ingenieur muss es wissen. Er ist für die Bewetterung des S-Bahn-Tunnels verantwortlich. Das heißt: Verbrauchte Luft muss abgeführt und frische Luft angesaugt werden. „Wir arbeiten hier unten mit Dieselloks sowie mit vielen Maschinen, die Abgase erzeugen. Ohne ausreichende Frischluftzufuhr könnten die Arbeiter gesundheitlichen Schaden nehmen oder sogar mit Vergiftungserscheinungen ohnmächtig werden“, sagt Michalski. Gewöhnlich reichen die Luftbewegungen der S-Bahnen, jetzt müssen sie künstlich erzeugt werden.
Dafür sind vier Lüfter im Einsatz – jeder rund sechs Meter lang und 1,60 Meter hoch wie breit, rund zwei Tonnen schwer. Sie sehen aus wie Flugzeugturbinen und klingen auch so. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Mit einer Leistung von jeweils 55.000 Watt – das ist ungefähr die Kraft, die die Motoren von rund 8.000 Tischventilatoren zusammen benötigen – können sie die Luft mit einer Geschwindigkeit von bis etwa 12 Kilometer pro Stunde durch die Tunnel schicken. Direkt vor dem Lüfter können es auch schon einmal 150 Kilometer pro Stunde sein.
Damit immer die richtige Windgeschwindigkeit im Tunnel herrscht, hängen an den Stationen zwischen Südbahnhof und Hauptbahnhof Koffer mit verschiedenen Messinstrumenten, sogenannte Messkoffer. Diese messen die Zusammensetzung der Luft: Wie hoch sind Sauerstoff- und Stickstoffgehalt? Sind andere Gase wie Kohlenmonoxid und Kohlenstoffdioxid oder giftige Dämpfe in der Luft enthalten? „Die Messkoffer zeichnen das alles auf, gleichzeitig sind etliche Kollegen und Kolleginnen mit mobilen Messgeräten während der Bauarbeiten im Tunnel unterwegs, um überall die passenden Werte zu haben“, erklärt Michalski. Je nach Messergebnis wird die Windgeschwindigkeit im Tunnel angepasst. „Gewöhnlich variiert sie hier zwischen 0,8 und 1,3 Meter pro Sekunde. Zurzeit ist alles im grünen Bereich, keine Gefahr in Sicht“, sagt Michalski und schließt die Klappe des Messkoffers.

Wenn das Signal „Arbeitszug fährt ein“ gegeben wird, heißt das für die Arbeiter im Bauabschnitt, zügig das Gleis zu verlassen. Die Arbeiter stammen meist von den vier Fremdfirmen. Die Firmen kommen aus den Bereichen Bewetterung, Gleisbau, Kabeltiefbau und Signalbau. „Jede Firma unterweist ihre Beschäftigten anhand der BETRA. Ein Sicherheits- und Gesundheitskoordinator der Deutschen Bahn überwacht die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften“, erzählt Radlegger.
Bevor die eigentliche Arbeit an den Schienen beginnen kann, waren Vorarbeiten nötig, um die Arbeitssicherheit zu gewährleisten, sagt der Projektingenieur. Die haben Tage vorher begonnen. „Zunächst musste die Oberleitung abgeschaltet werden. Dann wurden die Strecke zwischen Südbahnhof und Hauptbahnhof für den Bahnverkehr gesperrt und die Baugleise eingerichtet.“ Anschließend seien Warnschilder installiert worden, darunter die Wärterhaltscheibe, die eine Gleisstelle kennzeichnet, die vorübergehend nicht befahren werden darf. Außerdem entfernten die Arbeiter Einrichtungen am und im Gleis, die auf die Signale einwirken und als Stolperfalle wirken können. „Stolpern, Rutschen, Stürzen sind die häufigsten Unfallursachen hier unten“, kommentiert Radlegger.
Im Schritttempo schleicht die sogenannte Langschienen-Transport-Einheit vorwärts. Gezogen wird sie von zwei mächtigen Diesellokomotiven, auf deren Waggons die Schienen liegen. An der Stelle, wo die neuen Schienen abgelassen werden sollen, werden die Schienenenden festgehalten. Währenddessen hält der sogenannte Greifer, ein kleiner Kran, der seinerseits auf Schienen des Güterwagens entlangfährt, die anderen Schienenenden fest. Die Lokomotiven bewegen sich anschließend gemächlich vorwärts, bis der Greifer am Ende der Ladefläche angekommen ist und die Schienenenden sanft zu Boden gleiten lässt. Damit die Holzschwellen nicht beschädigt werden, legen die Gleisbauer dünne Holzbalken unter die neuen Schienen.
Ab dann ist Handarbeit angesagt. Die alten Schienen werden ausgebaut und mit der Langschienen-Transport-Einheit abtransportiert. Anschließend setzen die Gleisbauer die neuen Schienen an ihre Position, verschrauben sie und verschweißen die Stöße. „Zwei bis drei Stunden dauert der Austausch“, sagt Radlegger. Dann sind die Schienen bereit, wieder täglich Hunderte S-Bahnen auf sich hinwegdonnern zu lassen.
Der Artikel ist in DGUV Arbeit & Gesundheit 4/2016 erschienen.