Roboter-Rock reloaded

Auf dieses Album mussten die Fans lange warten. 20 Jahre, um genau zu sein. Doch jetzt meldet sich die US-amerikanische Band Devo mit ihrem neuen Studioalbum „Something For Everybody“ zurück. Dafür haben die New-Wave-Pioniere nichts dem Zufall überlassen.

Devo waren schon immer ein wenig anders als der Rest. Als die US-amerikanische Band Anfang der 1970er Jahre anfing, die Klubbühnen unsicher zu machen, wirkten sie wie von einem anderen Stern. Die Bandmitglieder trugen weiße Monteursanzüge, futuristische Masken und konische Hüte. Videoinstallationen untermalten die Auftritte visuell. Dazu spielten Devo Musik, die neu und ungewöhnlich war. Bedrohlich und maschinell klingende Synthesizer, kreischende Gitarren und eine wütende, monoton-stampfende Kombination aus Bass und Schlagzeug bildeten den perfekten Klangteppich für den roboterhaft-verzerrten Gesang.

Auch wenn Devo damals vieles von dem vorwegnahmen, was später den New Wave der 80er Jahre oder aktuelle Künstler wie Lady Gaga, Franz Ferdinand oder LCD Soundsystem prägen sollte – auf das damalige Publikum dürfte die Band so gewirkt haben, als käme sie direkt von Alpha Centauri statt aus Akron, einer mittelgroßen Stadt im US-Bundesstaat Ohio.

Subversiver Humor

Jetzt, 20 Jahre nach ihrem letzten Album „Smooth Noodle Maps“, melden sich Devo mit einem neuen Album zurück. Schon Monate vor der eigentlichen Veröffentlichung betrieb die Band „Marketing-Studien“ und ließ die Fans auf ihrer Homepage über das Comeback-Album abstimmen. Die konnten zum Beispiel über die Farbe der neuen Banduniformen entscheiden und wurden zu den einzelnen Liedern befragt.


Schließlich verkündete die Band dann auf ihrer Homepage: „Unsere Geschäftspartner und die Stimmen Amerikas haben entschieden, dass das neue Album ‚Something For Everybody‘ heißen soll.“ Sogar gegen ein Lied hatten sich die Fans ausgesprochen, was aber nichts half. Der vergleichsweise ruhige 80er-Jahre-Popsong „No Place Like Home“ findet sich trotzdem auf „Something For Everybody“ – weshalb ein „88 Percent Focus Group Approval“-Sticker das Album ziert und den leicht skurrilen Humor der Band verdeutlicht.

Wie ernsthaft auch immer man die Studien der Band einschätzt, sie halfen im Vorfeld, für genügend Aufmerksamkeit zu sorgen, die Devo auch jüngeren Menschen ins Bewusstsein rief. Denn viele der Hörer dürften wahrscheinlich noch gar nicht auf der Welt gewesen sein, als sich die Band 1972 als Reaktion auf die Studentenunruhen in ihrer Heimatstadt Akron gründete, bei denen die US-Nationalgarde vier Studenten erschoss.

Popkulturelle Avantgarde in den 1970er Jahren

Die Brüderpaare Mark und Bob Mothersbaugh und Gerald und Bob Casale entwickelten aus diesem Erlebnis – sie hatten an der Demonstration teilgenommen – die bis heute für die Band prägende Philosophie der De-Evolution, was sie mit Devo, ihrem Bandnamen, abkürzten. Nach dieser De-Evolution entwickelt sich die Menschheit intellektuell und sozial stetig zurück.

Im Jahr 1978 veröffentlichen sie ihr erstes Album „Q: Are We Not Men? A: We Are Devo!“, das bis heute den Ruhm der Band begründet. Das Album wurde von Brian Eno produziert, der zuvor bei Roxy Music spielte und David Bowies Alben „Low“, „Heroes“  und „Lodger“, die so genannte Berlin-Trilogie, produziert hatte. Plötzlich gehörten Devo zur popkulturellen Avantgarde jener Jahre.

Ihren größten Hit hatten Devo 1980 mit der Single „Whip It“, die in den USA bis auf Platz 14 der Charts kletterte. An diesen Erfolg konnten sie danach jedoch nicht mehr anschließen. Mitte der 80er Jahre war der Sound von Devo nichts Ungewöhnliches mehr. Fast jede Popband dieser Zeit nutzte einen Synthesizer oder ein Keyboard. Im Jahr 1990 veröffentlichten sie „Smooth Noodle Maps“, ihr bis dato schwächstes Album und verschwanden dann bis 1996 weitgehend von der Bildfläche. In den folgenden Jahren spielten sie wieder vereinzelt Konzerte, hauptsächlich in den USA. Gerüchte über ein neues Album machten immer wieder einmal die Runde.

„Rentnerband“ mit modernem Sound

Und jetzt ist das Comebackalbum da. Dafür holten sich die vier, mittlerweile über 60-jährigen, Gründungsmitglieder einige der derzeit angesagtesten Produzenten an Bord. Unter anderem Greg Kurstin, der schon Lily Allen, Peaches oder Pink produzierte, und die Hip-Hop-Sängerin Santigold, die den zwölf Liedern einen zeitgemäßen Klang verpassen sollten.

Mit Erfolg: Devos musikalischer Mix aus Punk, Disco, New Wave und Electro-Pop klingt frisch und aktuell. Fast jedes der zwölf Lieder ist wohl in der Lage, die Tanzflächen der Klubs zu erobern.

Gleich der erste Song des Albums, die eingängige Singleauskopplung „Fresh“, versprüht Energie und Elan. Ein pulsierendes Schlagzeug und eingängige Synthesizer- und Bassmelodien bilden hier, wie auch auf den weiteren Songs, das Fundament, über das sich schräge Gitarrenriffs und der Wechselgesang von Mark Mothersbaugh und Gerald Casale legen. Es folgt das dunkle, manische „What We Do“, in dem die beiden Sänger gebetsmühlenartig wiederholen: „What we do, is what we do, it’s all the same, it’s nothing new.“ Es folgen weitere Highlights wie „Please Baby Please“, dessen abgehackter Trommelrhythmus mit einer eingängigen 50er-Jahre-Doo-Wop-Melodie kollidiert, „Human Rocket“, das dank seines stampfenden Schlagzeugs vor Energie nur so strotzt oder „Step Up“, welches leichte Anleihen beim Hip-Hop nimmt.

Bissige Texte besingen die De-Evolution

Die Texte nehmen überwiegend die Lebensgewohnheiten des heutigen Amerikas mit gewohnt bissigem Humor auf die Schippe. „Wir werden von der Realität inspiriert, weil die Welt immer noch lächerlich und dumm ist“, sagt Gerald Casale dazu. Ausnahmen sind „Sumthin“, in dem die Band unverhohlene Kritik am Weltverbesserungsanspruch des Westens im Nahen Osten übt, und „No Place Home“, das eine bessere Welt verspricht, sobald der Mensch die Erde verlassen hat.

Devo 2010 erfinden sich auf „Something For Everybody“ sicher nicht neu. Das war aber auch nicht ihr Plan, wie Mark Mothersbaugh erklärt: „Es ist dasselbe Auto, aber jetzt hat es Airbags, bessere Bremsen und Servolenkung.“ Doch dieses Update reicht, um ein Album vorzulegen, das die Band in Höchstform zeigt und das es schafft, Devos „alten“ Sound erfolgreich in die heutige Zeit zu transportieren.

Erschienen am 9. Juli 2010 auf ARD.de

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